Archäologe Jörg Scheidt Ihm steht der Kopf nach Schädeln

Ein Spaziergang durch die Elberfelder City, ohne einen Blick in die Baugruben zu werfen? Für Jörg Scheidt kaum möglich. „Reine Berufsneugier“, sagt der 47-Jährige und lacht.

Bitte recht freundlich: Jörg Scheidt und ein Schädel.

Bitte recht freundlich: Jörg Scheidt und ein Schädel.

Foto: Simone Bahrmann

Denn der Wuppertaler ist Archäologe, also praktisch „Kollege“ derjenigen, die im Untergrund der Historie der Innenstadt auf der Spur sind. Wobei: „Das, was ich untersuche, ist meist schon ausgebuddelt.“ Seine Passion sind Dinge, die in Elberfeld eher selten gefunden werden: Schädel. Kürzlich hat Scheidt ein Buch zum Thema Schädelkult veröffentlicht.

Ein makabres Thema? Scheidt lächelt. „Das müssen sich die Leute selbst fragen.“ Ein knöchernes Haupt hat Scheidt zum Rundschau-Interview in einem Café mitgebracht. Zufällig, weil seine Klasse – im Hauptjob ist der Wuppertaler Sprachlehrer – unbedingt mal einen Schädel sehen wollte. „Ein Hundeschädel aus Nordafrika, vielleicht 100 Jahre alt.“ Auf einen Stock gesetzt, mit Muscheln verziert, sollen die Schädel als Hüter das Haus beschützen. „Wie die lebenden Hunde.“ Damit es dann nicht zu viele neugierige Blicke vom Nachbartisch gibt, packt er ihn schnell wieder ein.

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Rundgang durch die Baustellen-City

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Foto: Christoph Petersen

„Archäologie ist mein Herzensberuf, aber eher eine brotlose Kunst“, sagt er. „Das andere ist dann mein Brotjob.“ Als Archäologe sei er Freiberufler. „Ich picke mir das raus, was mir Spaß macht. Dass die „Lehre von den Altertümern“, so die Übersetzung aus dem Griechischem, mal ein wichtiger Teil seines Lebens werden würde, habe früh festgestanden, erinnert sich Scheidt. Seine ersten Bücher: Altes Ägypten, Ritter, Dinosaurier. In der Schule waren Geschichte und Religion seine Lieblingsfächer.

Später, während des Studiums der vor- und frühgeschichtliche Archäologie und Geschichte in Bonn, brachte eine Ausstellung über Pharao Tutenchamun ihn zum Thema Schädel – indirekt. „Zwei Etagen drüber gab es noch eine andere Ausstellung über das alte Jordanien“, erzählt der Wuppertaler. In einer Vitrine stand ein Original-Schädel mit nachmodelliertem Gesicht. „Das hat mich sofort fasziniert.“

In Wuppertal hat Scheidt für Schlagzeilen gesorgt. Einmal, als er für den Bergischen Geschichtsverein bewies, dass ein in den 1950er Jahren in Elberfeld gefundener Baumsarg ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hatte als gedacht und aus der Zeit zwischen 921 und 931 stammt. Und ein zweites Mal mit der Posse um den „Nordpark-Schädel“: Ein Fragment, 2007 durch Zufall entdeckt. Erst war es mal für sterbliche Überreste eines Mopses oder Boxers gehalten worden, dann die eines Menschen, dann eines Affen – und letztendlich zweifelsfrei eines Menschen. „Woher der Schädelrest stammt, wird sich wohl nicht mehr klären lassen“, räumt Scheidt ein. Inzwischen hat ihn Scheidt wieder bei sich zu Hause.

Wer mehr zum Thema Schädel erfahren möchte, für den gibt es Scheidts Erstlingswerk. „Es ist unterhaltend“, verspricht der Autor. Aber natürlich vor allem für Menschen, die sich dafür interessieren, auch mit dem Buch arbeiten wollen.

Den Titel ziert ein etwa 700 Jahre alter Schädel. „Aus einer Grabung, der sollte weggeworfen werden“, erklärt Scheidt. „Jetzt ist er bei mir zu Hause.“ Die Anekdote passt zu seiner Kritik an der Bestattungskultur, wie er sie nennt. „Heutzutage hat das schon was von Wegwerf-Kultur“. Dabei sehe man an der Art, wie eine Gesellschaft mit ihren Toten umgeht, wie sie entwickelt ist. „Früher hatten die Menschen ausgefeilte Bestattungsrituale. Die Toten gehörten immer noch irgendwie zur Familie“, erklärt er.

Heute kommen die Vorfahren in die Erde, später auf den Müll, wenn die Gräber aufgelöst werden. Seinen Plan beschreibt Scheidt schmunzelnd: „Wenn ich tot bin, kann man gerne meinen Schädel rausholen und neben den Fernseher stellen – nur bitte ohne albernen Hut oder so.“

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