Wuppertaler Historiker Prof. Klaus Goebel wird 90: „Werde nie ein Nazi“

Wuppertal · Der Wuppertaler Historiker Klaus Goebel wird am Mittwoch (24. April 2024) 90 Jahre alt. Zeit seines Lebens hat er sich intensiv mit der Stadt und ihrer Kirchengeschichte befasst.

 Prof. Klaus Goebel im Jahr 2009.

Prof. Klaus Goebel im Jahr 2009.

Foto: Wikipedia/Ticketautomat

Herr Professor Goebel, woher kommt Ihr besonderes Interesse an der Kirchengeschichte Wuppertals?

Goebel: „Ich war 17 Jahre alt, als ich das erste Mal das Archiv meiner Heimatgemeinde in Barmen in der Immanuelskirche besucht habe. Ich hielt älteste Dokumente der Wuppertaler Schulgeschichte in Händen, Papiere der Barmer Lateinschule von 1579, einer Wurzel des heutigen Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums. Als kostbarer Schatz erwies sich ein umfangreiches Bündel von Briefen Gerhard Tersteegens nach Barmen, das heute in einem Panzerschrank des Landeskirchenarchivs verwahrt wird. Dieser Moment im Archiv erwies sich als eine Initialzündung für mein Interesse am Pietismus, der das Wuppertal im 18. und 19. Jahrhundert mitprägte. Später habe ich dann neben meinem Beruf als Volksschullehrer noch Geschichte studiert und in der Disziplin Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte promoviert.“

Nimmt Wuppertal im Hinblick auf seinen stark ausgeprägten Pietismus eine besondere Rolle unter den rheinischen Städten ein?

Goebel: „Ja, das kann man so sagen. Hier hängen Industrialisierung, Kapitalismus und Pietismus eng zusammen. Viele der reichen Wuppertaler Unternehmerfamilien wie die des Sozialisten Friedrich Engels waren sehr fromm. In der Industrialisierung entwickelte sich aber eine wachsende Distanz zwischen den Arbeitern und der Kirche. Am Beispiel des Unterbarmer Pfarrers Hermann Thümmel lässt sich das gut zeigen: Er war mit der ausufernden Arbeiterzuwanderung und dreistelligen Konfirmandenzahlen schlicht überfordert und erwies sich für die Arbeiterbevölkerung nicht als Gesprächspartner.

Ein Landwirt am Rande unserer Stadt, Gustav Eicker, Hauptperson des letzten Buchs „Chronist und Kirchenvater Gustav Eicker vom Lichtenplatz“ (2022), war hingegen als frommer Pietist – eine „doppelt gemoppelte Kennzeichnung – Stütze der Unterbarmer Kirchengemeinde und Mitgründer des Gemeindebezirks auf Lichtscheid.“

Der reformierte Wuppertaler Pietismus wurde stark von dem bekannten Liederdichter und Mystiker Gerhard Teerstegen (1697–1769) beeinflusst, den Sie eben erwähnten. Welche Rolle spielt er in Ihren Forschungen?

Goebel: „Ich habe mich viel mit Teerstegen beschäftigt und auch häufig mit meinem Jugendfreund Johannes Rau über diesen großen Kirchenmann unterhalten. Als wir uns kurz vor dem Ende seiner Amtszeit als Bundespräsident trafen, überraschte er mich mit der Information: ,Denke Dir, ich werde in Berlin mit Tersteegen verabschiedet.‘ Ich stutzte und er fuhr fort: ,Mit dem Großen Zapfenstreich.‘

In diesem ursprünglich militärischen Zeremoniell gibt es den Abschnitt ,Helm ab zum Gebet‘. Ohne Worte spielt das Orchester die Melodie des Tersteegen-Chorals ,Ich bete an die Macht der Liebe‘. Ein Pietismus Tersteegenscher Prägung täte Kirche und Glauben auch heute gut. Er muss ein menschliches Gesicht behalten.“

In diesem Jahr feiern wir 90 Jahre Barmer Theologische Erklärung. Welche Beziehung haben Sie zu diesem wichtigen Dokument der evangelischen Kirchengeschichte?

Goebel: „Ich bin fünf Wochen vor dem Zusammentritt der Bekenntnissynode einige hundert Meter Luftlinie von der Gemarker Kirche entfernt im Petruskrankenhaus geboren worden. Als Schüler entdeckte ich bei meiner Großmutter Hefte des Elberfelder Bekenntnispfarrers Hermann Klugkist Hesse, über den ich später eine Bibliographie erarbeitet habe. Im Alter von etwa neun Jahren stand ich mit der Oma am Fenster ihrer Wohnung und sah auf dem Hof hinter dem Haus den Nachbarn Meier in seiner SA-Uniform. Fast tonlos sagte die Oma zu mir: ,Herr Meier ist ein Nazi. Werde nie ein Nazi.‘ Das hat mich mein Leben lang begleitet.

Sehr viel später ist mir im Ausschuss für Kirchengeschichte und kirchliche Zeitgeschichte der rheinischen Landessynode, dem ich einige Jahrzehnte angehörte, die Rolle und Bedeutung des Wuppertals im Kirchenkampf bewusst geworden. Von meinem Jugendfreund Johannes Rau wusste ich, dass er manchmal an großen Postsendungen an Mitglieder der Bekennenden Kirche beteiligt war. Er beförderte sie in die verschiedensten Briefkästen, so dass die Massensendungen nicht auffielen.

Im Ausschuss und bei anderer Gelegenheit lernte ich dann Mitglieder der Barmer Synode von 1934 kennen. Die Bekennende Kirche war keine Widerstandsbewegung gegen den NS-Staat, sondern auf die Unabhängigkeit des kirchlichen Bekenntnisses bedacht. Überhaupt darf man Leben und Wirken der Kirche damals nicht von der alltäglichen Lebenswirklichkeit trennen.“

Die NS-Zeit in Wuppertal und die Geschichte der Barmer Theologischen Erklärung sind mittlerweile recht gut erforscht. Welchen Anteil hatten Sie daran?

Goebel: „Nach meiner nebenberuflich erfolgten Bonner Promotion 1965 – ich war im Hauptberuf inzwischen Realschullehrer – beauftragte mich die Stadt Wuppertal mit dem Aufbau der Stadthistorischen Abteilung des neu gegründeten Museums für Naturwissenschaften und Stadtgeschichte. Das heutige ,Zentrum für Staatgeschichte und Industriekultur‘ ist davon übriggeblieben.

In dieser Zeit habe ich zukünftige historische Aufgaben umrissen, die angepackt zu werden verdienten. Dazu gehörten ein ,Kirchenkampfarchiv‘ und die Dokumentation des nach 1933 untergegangenen jüdischen Lebens in der Stadt. Die Begegnungsstätte Alte Synagoge, die Ausstellung zur Bekennenden Kirche in der Gemarker Kirche und die Planungen in der zukünftigen Gedenkstätte Kemna mit Kirchenkreisarchiv knüpfen an eine langjährige mentale Vorbereitung an.“

Sie haben Ihr Interesse an Geschichte zum Beruf gemacht, aber Ihnen war es auch immer wichtig, Laien in die lokale Forschung einzubinden. Wie haben Sie das gemacht?

Goebel: „Im Verlauf des Lebens habe ich einige Arbeitskreise angeregt. Dazu gehört der Historische Arbeitskreis der Gemeinde Ronsdorf, den es nun schon seit 50 Jahren gibt. Von 1978 bis 1991 gab es den Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Wuppertal, dem Historiker und Nichthistoriker angehörten. Gemeinsam wurden drei Bücher zum Thema erarbeitet. Auch einen Arbeitskreis zur Wuppertaler Kirchengeschichte gab es eine Zeitlang. Superintendent Andreas Knorr und ich eröffneten die dreibändige Reihe ,Kirchen in Wuppertal‘ mit dem Band über Elberfeld. Zwei weitere Bände erschienen, als es den Arbeitskreis nicht mehr gab.“

Auch mit 90 Jahren haben Sie sich als Historiker noch nicht zur Ruhe gesetzt. An welchem Projekt arbeiten Sie gerade?

Goebel: „Ich beschäftige mich mit dem reformierten Friedhof der Gemeinde Ronsdorf, der bald 200 Jahre alt wird. Am 24. Juni 1824, am Johannistag, gab es die erste Beerdigung auf dem neuen Friedhof der Gemeinde. Heute ist er einer der ältesten Friedhöfe in Wuppertal, aber über ihn ist bisher wenig bekannt. Ich arbeite gerade an einem Beitrag, den ich auf der Basis des Materials im Gemeindearchiv für die nächste Ausgabe unseres Ronsdorfer Gemeindeblatts ,einblick‘ schreibe.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort