JVA Ronsdorf Das Klassenzimmer hinter Gittern

Wuppertal · Pauken für draußen: Die Inhaftierten der Jugendvollzugsanstalt in Ronsdorf wollen die Zeit nutzen. Im Gefängnis besuchen sie die Schule oder sammeln in den Werkhallen Berufserfahrung.

 Das Klassenzimmer ist in einem freundlichen Gelb gestrichen. Nur die vergitterten Fenster erinnern an den Knast.

Das Klassenzimmer ist in einem freundlichen Gelb gestrichen. Nur die vergitterten Fenster erinnern an den Knast.

Foto: Rundschau / Max Höllwarth

Thema im Englischunterricht ist Australien. "Heute leben dort Menschen aus der ganzen Welt, es ist ein multikulturelles Land", übersetzt Manuel den Text aus dem Schulbuch. Die Stunde ist für ihn gut gelaufen. Am Anfang ließ die Lehrerin spontan einen Test schreiben und korrigierte ihn direkt im Klassenzimmer. Auf seinem Blatt prangt eine glatte 1. Englisch, Mathe, Deutsch — Manuel mag jedes Fach. "Das ist meine Chance auf den Hauptschulabschluss", sagt er. Außerdem gehen hier die Stunden schnell um. Zeit hat er genug. Genau gesagt, hat Manuel noch acht Monate. "Dann bin ich draußen", sagt er und blickt durch das gelb gestrichene Klassenzimmer mit den Gitterstäben vor dem Fenster.

390 Jugendliche sitzen zurzeit in der Jugendvollzugsanstalt in Ronsdorf ein. Die jüngsten sind erst 14 Jahre alt. Rund 120 von ihnen lernen hier für den Schulabschluss. "Ob berufliche oder schulische Qualifizierungsmaßnahme — unsere Beschäftigungsquote liegt bei 80 Prozent", sagt Frank Zipfel. Der Pädagoge spricht im Zusammenhang mit dem Bildungssystem der JVA metaphorisch vom Haus der Förderung. Am Eingang steht eine Diagnostik, nach der die jungen Häftlinge einem Level zugeordnet werden. Hat der Inhaftierte einen Schulabschluss? Wie gut spricht er Deutsch? Liegt eine Abhängigkeit oder eine Verhaltensstörung vor?

Die Jugendlichen mit dem niedrigsten Bildungsstand besuchen den Liftkurs. Hier wird Grundschul-Stoff vermittelt. "Er entspricht etwa dem Niveau der 3. oder 4. Klasse", erklärt Zipfel. Neben dem Basiswissen im Schreiben und Rechnen lernen viele Knast-Schüler erst hier, wie Lernen und Schule funktioniert. Ruhig sitzen, zuhören, mitschreiben, Hausaufgaben machen.

 Die Werkhallen sind riesig. Hier sollen die Inhaftierten Berufserfahrung sammeln, um draußen möglichst schnell einen Job zu bekommen.

Die Werkhallen sind riesig. Hier sollen die Inhaftierten Berufserfahrung sammeln, um draußen möglichst schnell einen Job zu bekommen.

Foto: Rundschau / Max Höllwarth

Eine Etage über den Liftkursen liegen die Förderklassen, vergleichbar mit der 7. Klasse einer Hauptschule. Hier geht es um den Abschluss, oft das entscheidende Fundament für ein Leben ohne Kriminalität. "Wir versuchen jeden mitzunehmen", sagt Zipfel. Das Haus der Förderung sei deshalb nicht statisch, sondern ständig in Bewegung.

Erst Ende August hat die JVA neue Lehrerstellen ausgeschrieben, um dem aktuellen Bedarf im Knast besser gerecht zu werden. "Wir brauchen eine weitere Klasse, denn so mancher Gefangener spricht kein Deutsch oder beherrscht nicht unsere lateinische Schrift", erklärt JVA-Leiterin Karin Lammel. Zurzeit gäbe es bereits eine kleine Gruppe, mit denen die Justizlehrer einen Sprachförderungskurs durchführen. "Wir machen mit diesen Inhaftierten jetzt noch improvisierten Unterricht, damit sie schnell Fortschritte machen. Dieses Angebot wird mit dem zusätzlichen Personal ausgeweitet."

Wer den Schulabschluss in der Tasche hat, kommt unter die Fittiche von Ausbildungsleiter Olaf Bock. Dazu gehört Marcel. Der 20-Jährige steht im Blaumann in einer der Gefängniswerkhallen. Er hat heute Morgen eine Treppe fertig gebaut. Mit dem Legen eines Fundaments hatte der Azubi zum Maurer noch Probleme. In den 300 Quadratmeter großen Hallen versuchen die jungen Männer sich für die Welt draußen fit zu machen. Sie bauen Stufen, die ins Leere führen und mauern unter ihrem Dach kleine Häuser.

 Die Gefangenen legen dieselben Prüfungen ab, wie jeder andere Azubi. Auch eine Lossprechung findet hinter Gittern statt.

Die Gefangenen legen dieselben Prüfungen ab, wie jeder andere Azubi. Auch eine Lossprechung findet hinter Gittern statt.

Foto: Rundschau / Max Höllwarth

Ähnlich wie Manuel zur Schule, geht Marcel gerne zur Arbeit. "Die Meister unterstützen uns. Schließlich geht es um den Job, um die Zukunft." 144 Plätze für berufliche Qualifizierungsmaßnahmen hält die JVA für ihre Inhaftierten bereit. Während die schulischen Bildungsmaßnahmen in Kooperation mit dem Wuppertaler Berufskolleg "Die Brücke" durchgeführt werden, ist das Kolping-Bildungswerk Träger der praktischen Ausbildung. "Wir bilden in den Bereichen Holz, Metall, Bau und Farbe aus", sagt Bock.

Die Anforderung seien mit denen draußen identisch, nur die Bedingungen anders. Fluchtsicher eben. Auch die Fahrt zu Kunden fällt für die Knast-Azubis flach. "Das versuchen wir in der Anstalt zu kompensieren", sagt Bock. Die Inhaftierten streichen die Flure, renovieren die Büros. "So können sie ihre Kreativität unter Beweis stellen und echte praktische Erfahrung sammeln."

Der Nachmittag ist um, Manuel schnappt sich die durchsichtige Schultasche und auch Marcel hat gleich Feierabend. Für Manuel geht es in die Gefängnisbibliothek. Hier jobbt er nach der Schule, um sich Süßigkeiten und Zigaretten leisten zu können. Wahrscheinlich würde er den Job auch ohne das Taschengeld machen, scharf auf die Zeit in der Zelle ist hier keiner.

Marcel wird noch einen Blick in seine Unterlagen werfen. Bald hat er Abschlussprüfung. "Dann feiern wir eine Lossprechung, zu der auch die Familien eingeladen sind", sagt Olaf Bock. "Für die jungen Leute, aber auch für uns, ist das der schönste Moment." Manuel wird mit Frank Zipfel bald einen Ausflug machen. "Wir fahren mit den Jugendlichen, die bald entlassen werden, zu Schulen, an denen sie sich vorstellen können."

Mancher Schulleiter weicht ablehnend zurück, wenn der JVA-Pädagoge und ein junger Mann in Handschellen vorsprechen. "Andere sind kooperativ und dafür sind wir dankbar", sagt der Justizlehrer. Schließlich sei das der entscheidende Schritt, auf den Frank Zipfel und seine Kollegen hingearbeitet haben. Die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, der Anschluss nach draußen.

Manuel und Marcel wollen es schaffen. Marcel träumt davon sich als Maurer selbstständig zu machen. Manuel weiß bisher nur eins: "Nie wieder Knast." Ob sie das schaffen werden? "Wir stellen alle Weichen, die in unseren Möglichkeiten stehen", sagt Karin Lammel. Sie erlebt die jungen Leute am Tag ihrer Entlassung so wie manchen Freund am Silvesterabend. "Die Vorsätze sind gut und aufrichtig." Doch während auf den Diätwilligen nur die verführerische Schokolade wartet, warten auf die Ronsdorfer Jungs häufig alte Freunde und alte Probleme. Lammel: "Wer dann Stärke beweist, der hat es geschafft."



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Die Werkhallen sind riesig. Hier sollen die Inhaftierten Berufserfahrung sammeln, um draußen möglichst schnell einen Job zu bekommen. Die Gefangenen legen dieselben Prüfungen ab, wie jeder andere Azubi. Auch eine Lossprechung findet hinter Gittern statt.

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